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Cannabis bei ADHS: Kann medizinisches Cannabis helfen?
Hinweis: Dieser Artikel dient ausschließlich Informationszwecken. Wir geben keine medizinische Beratung. Bei gesundheitlichen Fragen konsultieren Sie bitte einen Arzt.
ADHS – die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung – betrifft nicht nur Kinder, sondern auch etwa 2,5 bis 3,5 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland. Während Standardmedikamente wie Methylphenidat (Ritalin) und Amphetamin-Präparate vielen Betroffenen helfen, vertragen nicht alle diese Substanzen gut oder erleben ausreichende Symptomlinderung. In den letzten Jahren rückt medizinisches Cannabis zunehmend in den Fokus als mögliche alternative oder ergänzende Therapieoption bei ADHS. Doch was sagt die Forschung dazu? Wie wirkt Cannabis bei ADHS? Und kann man es auf Rezept bekommen?
Was ist ADHS und wie wird es behandelt?
ADHS ist eine neurobiologische Störung, die durch drei Kernsymptome charakterisiert wird:
Unaufmerksamkeit: Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, leichte Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit im Alltag, Probleme bei der Organisation von Aufgaben.
Hyperaktivität: Innere Unruhe, Zappeligkeit, Unfähigkeit, still zu sitzen oder ruhige Tätigkeiten auszuüben.
Impulsivität: Voreilige Entscheidungen, Unterbrechen anderer im Gespräch, Schwierigkeiten abzuwarten, risikobereites Verhalten.
Standardtherapie bei ADHS
Die Behandlung von ADHS erfolgt in der Regel multimodal und umfasst:
Medikamentöse Therapie: Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin, Medikinet) oder Amphetamine (Elvanse) gelten als Erstlinientherapie. Sie erhöhen die Verfügbarkeit von Dopamin und Noradrenalin im Gehirn und verbessern dadurch Aufmerksamkeit und Impulskontrolle.
Psychotherapie: Verhaltenstherapeutische Ansätze helfen, Alltagsstrategien zu entwickeln und dysfunktionale Verhaltensmuster abzubauen.
Coaching und Selbstmanagement: Strukturierungshilfen, Zeit- und Organisationsmanagement sind wichtige nicht-medikamentöse Säulen.
Doch nicht alle Patienten sprechen auf Stimulanzien an. Etwa 20 bis 30 Prozent erleben keine ausreichende Wirkung oder leiden unter erheblichen Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Herzrasen oder emotionaler Abflachung. Für diese Patienten sind Alternativen gefragt.
Cannabis und ADHS: Was sagt die Forschung?
Die wissenschaftliche Datenlage zu Cannabis bei ADHS ist noch begrenzt, aber wachsend. Während kontrollierte Studien rar sind, gibt es interessante Hinweise aus Fallberichten, Beobachtungsstudien und ersten klinischen Untersuchungen.
Das Endocannabinoid-System und ADHS
Das Endocannabinoid-System spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation von Aufmerksamkeit, Motivation und Impulskontrolle – genau jenen Bereichen, die bei ADHS beeinträchtigt sind. Einige Forscher vermuten, dass ADHS-Patienten möglicherweise eine Dysregulation im Endocannabinoid-System aufweisen, was die Symptome erklären könnte.
Dopamin-Hypothese: ADHS wird oft mit einem Dopaminmangel in bestimmten Hirnregionen in Verbindung gebracht. THC kann die Dopaminausschüttung beeinflussen, was theoretisch einen therapeutischen Nutzen haben könnte. Allerdings ist die Wirkung komplex und dosisabhängig.
CBD und Neuroprotektion: CBD (Cannabidiol) wirkt nicht direkt auf Dopamin, hat aber anxiolytische (angstlösende) und beruhigende Eigenschaften, die bei der oft begleitenden inneren Unruhe helfen könnten.
Aktuelle Studienlage
Deutsche Studie (2022): Eine Studie der Universität Frankfurt untersuchte 59 erwachsene ADHS-Patienten, die medizinisches Cannabis erhielten. Viele berichteten von Verbesserungen bei Schlaf, Impulsivität und innerer Unruhe. Die Konzentrationsfähigkeit verbesserte sich jedoch nicht durchgehend.
Israelische Studie (2020): In einer Beobachtungsstudie mit 53 ADHS-Patienten gaben 68 Prozent an, dass Cannabis ihre Symptome linderte. Besonders die Schlafqualität und Hyperaktivität verbesserten sich. Allerdings war dies keine placebokontrollierte Studie.
Fallberichte: Es gibt zahlreiche Einzelfallberichte von ADHS-Patienten, die von positiven Effekten durch Cannabis berichten, insbesondere wenn sie Standardmedikation nicht vertragen haben.
Kritische Einschätzung: Die Forschung ist noch in einem frühen Stadium. Große, randomisierte kontrollierte Studien fehlen bislang. Cannabis kann nicht als evidenzbasierte Erstlinientherapie für ADHS angesehen werden, könnte aber in Einzelfällen eine sinnvolle Option sein.
Wie wirkt Cannabis bei ADHS-Symptomen?
Die Wirkung von Cannabis bei ADHS ist individuell sehr unterschiedlich und hängt von mehreren Faktoren ab: THC-/CBD-Verhältnis, Dosierung, Darreichungsform und individueller Neurochemie.
Potenzielle positive Effekte
Innere Ruhe: Viele ADHS-Patienten berichten, dass Cannabis die ständige innere Unruhe dämpft und ein Gefühl der Entspannung vermittelt, ohne sedierend zu wirken.
Verbesserter Schlaf: ADHS geht häufig mit Ein- und Durchschlafstörungen einher. Cannabis, besonders indica-lastige Sorten, kann den Schlaf verbessern und die nächtliche Erholung fördern.
Reduzierte Impulsivität: Einige Anwender berichten von besserer Impulskontrolle und verminderter Reizbarkeit unter Cannabis-Therapie.
Angstreduktion: Viele ADHS-Patienten leiden unter komorbiden Angststörungen. CBD kann hier anxiolytisch wirken.
Fokussierung: Dies ist paradox und dosisabhängig. Manche Patienten berichten von verbesserter Fokussierung in niedriger Dosierung, während höhere Dosen die Konzentration verschlechtern können.
Mögliche Risiken und Nachteile
Konzentrationsprobleme: Zu viel THC kann die Konzentrationsfähigkeit verschlechtern, was kontraproduktiv bei ADHS ist.
Motivationsverlust: Chronischer hochdosierter Cannabis-Konsum kann zu Amotivation führen.
Abhängigkeitspotenzial: ADHS-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch. Eine ärztliche Überwachung ist wichtig.
Nebenwirkungen: Mundtrockenheit, Schwindel, in seltenen Fällen Angst oder Paranoia (besonders bei hohen THC-Dosen).
Cannabis auf Rezept bei ADHS: Ist das möglich?
Ja, grundsätzlich können ADHS-Patienten medizinisches Cannabis auf Rezept erhalten, auch wenn ADHS keine explizit anerkannte Indikation ist.
Medizinische Voraussetzungen
Für eine Cannabis-Verschreibung bei ADHS müssen die allgemeinen Kriterien erfüllt sein:
Schwerwiegende Erkrankung: ADHS muss die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
Standardtherapie nicht anwendbar: Sie haben Methylphenidat, Amphetamine oder Atomoxetin ausprobiert, und diese waren nicht ausreichend wirksam oder wurden nicht vertragen.
Positive Behandlungsaussicht: Es besteht eine realistische Erwartung, dass Cannabis Ihre ADHS-Symptome lindern könnte.
Der Weg zum Rezept
Schritt 1: Spezialisierte Ärzte aufsuchen: Suchen Sie einen Psychiater oder Neurologen, der Erfahrung mit Cannabis-Therapie hat. Auch spezialisierte Cannabis-Praxen können eine Option sein.
Schritt 2: Dokumentation: Legen Sie Ihre ADHS-Diagnose vor (meist durch Facharzt oder psychologische Diagnostik) und dokumentieren Sie bisherige Therapieversuche mit Standardmedikation.
Schritt 3: Therapieversuch: Der Arzt kann ein BtM-Rezept ausstellen und mit Ihnen gemeinsam die passende Sorte und Dosierung finden.
Schritt 4: Kostenübernahme beantragen: Für die Übernahme durch die Krankenkasse müssen Sie einen Antrag stellen. Die Genehmigung ist bei ADHS nicht garantiert, da es keine klassische Indikation ist. Gut begründete Anträge mit klarer Dokumentation haben bessere Chancen.
Welche Cannabis-Sorten eignen sich bei ADHS?
Die Wahl der richtigen Sorte ist bei ADHS besonders wichtig, da zu viel THC kontraproduktiv sein kann.
Empfohlene Cannabinoid-Profile
Ausgewogene THC-CBD-Sorten: Ein Verhältnis von 1:1 oder 2:1 (THC zu CBD) wird oft empfohlen. Das CBD mildert psychoaktive Effekte und wirkt beruhigend.
- Beispiele: Bedrolite (9% THC, 9% CBD), Penelope (9% THC, 6% CBD)
Leicht CBD-betonte Sorten: Mehr CBD als THC kann bei starker Unruhe und Angst sinnvoll sein.
- Beispiele: Argyle (6% THC, 9% CBD)
Niedrig dosiertes THC: Wenn überwiegend die Aufmerksamkeit verbessert werden soll, können niedrige THC-Dosen (unter 10% THC) in Kombination mit CBD sinnvoll sein.
Darreichungsformen
Vaporisation (Verdampfen): Ermöglicht schnelle Wirkung und präzise Dosierung. Ideal, um die individuelle Wirkung zu testen.
Öle: Gleichmäßige, länger anhaltende Wirkung. Gut für konstante Symptomkontrolle über den Tag.
Wichtig: Beginnen Sie immer mit niedrigen Dosen und steigern Sie langsam unter ärztlicher Aufsicht.
Praktische Erfahrungen von ADHS-Patienten
In Online-Foren und Selbsthilfegruppen berichten ADHS-Patienten von gemischten Erfahrungen:
Positive Berichte:
- “Cannabis hat mir geholfen, abends endlich runterzukommen und zu schlafen.”
- “Ich bin weniger impulsiv und kann Konflikte besser regulieren.”
- “Die innere Unruhe ist deutlich weniger geworden, ohne die Nebenwirkungen von Ritalin.”
Kritische Berichte:
- “Tagsüber hat Cannabis meine Konzentration eher verschlechtert.”
- “Ich musste sehr lange experimentieren, bis ich die richtige Sorte und Dosis gefunden habe.” – Hilfe bei der Dosisfindung bietet unser Ratgeber zur richtigen Dosierung von medizinischem Cannabis.
- “Die Krankenkasse hat den Antrag abgelehnt, weil ADHS keine anerkannte Indikation ist.”
Fazit der Erfahrungsberichte: Cannabis ist keine Wunderlösung für ADHS, kann aber in Einzelfällen – besonders bei Unverträglichkeit von Standardmedikation – eine hilfreiche Ergänzung oder Alternative sein.
Cannabis und ADHS: Dos and Don’ts
Do’s
Mit niedrigen Dosen starten: Gerade bei ADHS ist weniger oft mehr.
Ärztliche Begleitung: Lassen Sie sich von einem erfahrenen Arzt begleiten, der die Therapie überwacht.
Symptomtagebuch führen: Dokumentieren Sie Wirkungen, Nebenwirkungen und Dosierungen.
Geduld haben: Es kann Wochen dauern, bis Sie die richtige Sorte und Dosis gefunden haben.
Don’ts
Nicht selbst therapieren: Verzichten Sie auf unkontrollierten Cannabis-Konsum ohne ärztliche Aufsicht.
Nicht überdosieren: Hohe THC-Dosen können ADHS-Symptome verschlimmern.
Standardtherapie nicht vorschnell abbrechen: Cannabis sollte nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt etablierte Medikation ersetzen.
Kostenübernahme durch die Krankenkasse bei ADHS
Die Kostenübernahme für Cannabis bei ADHS ist herausfordernd, aber nicht unmöglich.
Herausforderungen:
- ADHS gilt nicht als klassische Indikation für Cannabis
- Krankenkassen argumentieren oft, dass die Evidenzlage unzureichend ist
- Es gibt etablierte, gut untersuchte Standardtherapien
Erfolgschancen erhöhen:
- Lückenlose Dokumentation aller Therapieversuche mit Standardmedikation
- Medizinische Begründung durch Facharzt (Psychiater/Neurologe)
- Darlegung schwerer Nebenwirkungen oder Unwirksamkeit bisheriger Therapien
- Hinweis auf Begleitsymptome (Schlafstörungen, Angst), die durch Cannabis mitbehandelt werden
Bei Ablehnung: Sie können Widerspruch einlegen oder die Therapie zunächst privat finanzieren und nach positivem Therapieverlauf einen erneuten Antrag stellen.
Fazit: Cannabis bei ADHS – eine Option für ausgewählte Patienten
Medizinisches Cannabis ist keine Erstlinientherapie für ADHS und kann die gut erforschten Standardmedikamente nicht generell ersetzen. Die aktuelle Studienlage ist noch dünn, erste Untersuchungen und Erfahrungsberichte zeigen jedoch, dass Cannabis bei manchen ADHS-Patienten positive Effekte haben kann – insbesondere bei innerer Unruhe, Schlafproblemen und Impulskontrolle.
Cannabis kann eine sinnvolle Option sein für Patienten, die:
- Standardmedikation nicht vertragen
- Unzureichende Wirkung von Methylphenidat oder Amphetaminen erleben
- Zusätzliche Symptome wie Schlafstörungen oder Angst haben
- Bereit sind, unter ärztlicher Aufsicht eine individuelle Dosierung zu finden
Die Verschreibung ist grundsätzlich möglich, die Kostenübernahme jedoch nicht garantiert. Wenn Sie ADHS haben und Cannabis als Therapieoption erwägen, sprechen Sie mit einem erfahrenen Facharzt über Ihre individuellen Möglichkeiten. Eine ärztlich begleitete, vorsichtig dosierte Cannabis-Therapie könnte – in Kombination mit nicht-medikamentösen Maßnahmen – einen wertvollen Beitrag zu Ihrer Lebensqualität leisten.
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